BZ-INTERVIEW mit Werner Nickolai und Thomas Köck – Vorstandsmitglieder im Verein "Für die Zukunft lernen", der seit 25 Jahren gegen Fremdenhass kämpft.
FREIBURG. Anfang der 1990er-Jahre entwickelte sich im wiedervereinigten Deutschland ein Klima der offenen Fremdenfeindlichkeit. Als eine Reaktion darauf wurde 1993 der Verein "Für die Zukunft lernen – Verein zur Erhaltung der Kinderbaracke Auschwitz-Birkenau" gegründet. Seine Mitglieder zeigen jungen Menschen im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz, zu welchem Leid der Hass führen kann. 25 Jahre sind seit der Gründung vergangen. Im Gespräch mit Sebastian Wolfrum erzählen die Vorstandsmitglieder Werner Nickolai und Thomas Köck, warum ihre Arbeit für sie bis heute erschreckend aktuell ist.
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Gedenkstättenpädagogik braucht neue Zielgruppen
Verein "Für die Zukunft lernen" bereitet sich auf Jubiläum vor.
von Kai Kricheldorff
BREISACH/FREIBURG. 2018 begeht der in Breisach beheimatete Verein "Für die Zukunft lernen – Verein zur Erhaltung der Kinderbaracke Auschwitz-Birkenau" sein 25-jähriges Bestehen. In der Mitgliederversammlung in der katholischen Hochschule Freiburg nahmen die Überlegungen, wie dieses Ereignis würdig und angemessen gefeiert werden kann, einen breiten Raum ein. Als Gastredner begrüßte der Vereinsvorsitzende Professor Werner Nickolai den Historiker Eike Stegen aus Berlin, der zum Thema "Gedenkstättenpädagogik in der Migrationsgesellschaft" sprach.
Rückblick: Im Spätsommer 2016 organisierte der Verein, dem 128 Mitglieder angehören, den alljährlichen Bildungs- und Arbeitsaufenthalt im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz. Teilnehmer waren Jugendliche aus dem Christophorus-Jugendwerk in Oberrimsingen sowie Studierende der katholischen Hochschule Freiburg. Nickolai bedauerte, dass andere Institutionen, darunter eine Freiburger Realschule sowie das Breisacher Jugendzentrum, ihre anfängliche Zusage, an dem Vorhaben teilzunehmen, später zurückziehen mussten. "Die Rahmenbedingungen des Projektes haben sich deutlich geändert", stellte Nickolai fest. Das habe mit der KZ-Gedenkstätte in Auschwitz zu tun, aber auch der Kreis der jugendlichen Teilnehmer sei ein anderer geworden. Als Konsequenz daraus stellte der Vereinsvorstand Überlegungen an, wie eine Gedenkstättenpädagogik ausgerichtet sein muss, die Jugendliche mit Migrationshintergrund erreichen will. Im Dezember 2016 nahmen Vertreter des Vereins in der polnischen Stadt Oswiecim, die mit Breisach eine Städtepartnerschaft unterhält, an den Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen der Jugendbegegnungsstätte Auschwitz teil. Gemeinsam mit zwei Breisacher Schulen und anderen Vereinen organisierte "Für die Zukunft lernen" die Erinnerungsfeier anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktags im Januar in Breisach.
In der Versammlung wurde des im vergangenen Jahr verstorbenen Mitglieds Max Mannheimer gedacht. Als Holocaustüberlebender hatte er jahrelang Vorträge in Schulen, Vereinen und Universitäten gehalten und seine Hafterlebnisse in verschiedenen Konzentrationslagern geschildert. Nickolai würdigte ihn als einen Mann, der sich nicht als Ankläger, sondern als Zeuge der Zeit verstand. Bis zu seinem Tod gehörte Max Mannheimer dem Beirat des Vereins "Für die Zukunft lernen" an.
Ausblick: Im Spätsommer nehmen wieder zehn Jugendliche aus Südbaden an einer Projektwoche im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau teil. Im Juni 2018 wird das 25-jährige Bestehen des Vereins, unter anderem mit einer Feierstunde und Festvortrag, in Breisach begangen.
Wahlen: Der Vorstand wurde komplett wiedergewählt: Werner Nickolai (Vorsitzender), Thomas Köck (Stellvertreter), Margit Mai (Kassenführerin), Gerd Müller (Schriftführer) und als Beisitzer Gabriel Dittrich, Bernd Kellermann, Edgar Kösler, Norbert Scheiwe und Michael Siebert.
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BZ-Bericht
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Badische Zeitung vom 17.01.2015
Forschungsprojekt der Katholischen Hochschule Freiburg Schüler aus Breisach und Oswiecim sind Freunde geworden
Als Lehrforschungsprojekt haben Studenten der Sozialarbeit der katholischen Hochschule Freiburg 16 Schülerinnen und Schüler der Hugo-Höfler-Realschule in Breisach interviewt. Vor zwei Jahren hatten sie an einem Schüleraustausch mit der polnischen Partnerstadt Oswiecim teilgenommen. In ihrem Buch "Anders als erwartet" haben die beiden Hochschullehrer Professor Werner Nickolai und Professor Jürgen E. Schwab die Interviews, ihre Ergebnisse und ihre Bewertungen veröffentlicht. Mit Nickolai sprach BZ-Mitarbeiter Kai Kricheldorff.
BZ: Welche Erkenntnisse lassen sich aus der Untersuchung über den Schüleraustausch zwischen der Hugo-Höfler Realschule und einer Schule in Breisachs polnischer Partnerstadt Oswiecim ableiten?
Nickolai: Von den Schülerinnen und Schülern der Breisacher Realschule, die am Austausch teilnahmen, wurde vor allem die herzliche Gastfreundschaft hervorgehoben, die sie in den polnischen Familien und in Oswiecim insgesamt erlebten. Daraus haben sich persönliche Freundschaften zwischen jungen Menschen aus Breisach und Oswiecim entwickelt, die inzwischen über die sozialen Netzwerke im Internet rege gepflegt werden. Aber es artikulierte sich auch der Wunsch der Schüler in beiden Städten, ihre Eltern mögen miteinander in Kontakt und Austausch treten. Polen wurde von den Schülern aus Breisach als attraktives Reiseland entdeckt. Die polnischen Schüler haben großes Interesse am deutsch-polnischen Verhältnis bekundet, auch mit Blick auf die tragische Vergangenheit, die beide Länder miteinander verbindet.
BZ: Lässt sich auch ein Austausch von Erwachsenen aus Oswiecim und Breisach organisieren?
Nickolai: Die älteren Generationen sind eher zurückhaltend, was das betrifft. Aber es ergeben sich schon erste Ansätze für Begegnungen zwischen Erwachsenen aus beiden Städten. Sie weiter zu entwickeln, wird eine Zukunftsaufgabe für den Freundeskreis Oswiecim sein.
BZ: Mit welchen Erwartungen sind die Schüler aus Breisach und Umgebung nach Polen gefahren?
Nickolai: Natürlich waren da vereinzelt vorgefasste Meinungen und Klischeevorstellungen vorhanden, etwa im Hinblick auf politische Einstellungen junger Polen oder auf ihr Verhalten. Das aber hat sich bei dem Aufenthalt relativiert, wie auch in den Interviews deutlich wird. Unerwartet war für die deutschen Schüler, dass in Oswiecim Wohnqualität, Stadtbild und Infrastruktur doch teilweise erheblich anders sind als sie es von Deutschland kennen. Sehr positiv haben sie das gute Essen in Polen bewertet.
BZ: Welche unerwarteten Erfahrungen machten die deutschen Teilnehmer?
Nickolai: Nicht erwartet hatten sie, dass ihnen als Deutsche im Hinblick auf die historische Vergangenheit in Polen keinerlei Vorhaltungen gemacht wurden. Überraschend war für sie wohl auch, dass Musik und Kleidung polnischer Jugendlicher sich von denen ihrer deutschen Altersgenossen kaum unterscheiden.
BZ: Was bedeutet für den Schüleraustausch die Tatsache, dass Oswiecim die Stadt ist, in dem sich das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz befindet?
Nickolai: Die am Austausch beteiligten Schülerinnen und Schüler haben erkannt, dass zwischen Oswiecim und dem Ort des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz, der ja heute Gedenkstätte ist, zu differenzieren ist. Ihr Verständnis dafür, dass Auschwitz für Deutsche eine verpflichtende Aufgabe bedeutet, sich mit den Themen Nationalsozialismus und Holocaust auseinanderzusetzen, ist bei dem Besuch in Polen sicher gewachsen. Sie waren auf diese Thematik schon in der Schule in Breisach gut vorbereitet worden. Durch Besuche im Blauen Haus wussten sie von der langen jüdischen Geschichte Breisachs und konnten realisieren, dass Auschwitz auch einen Bezug zur Heimatgeschichte unserer Stadt hat.
------------------- Werner Nickolai und Jürgen Schwab: "Anders als erwartet", Hartung-Gorre Verlag, Konstanz, 144 Seiten, 18 Euro
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