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Auschwitz

Die Kinderbaracke in Auschwitz-Birkenau

"Nach dem Ausbruch des Warschauer Aufstandes kommt es zu massenhaften Verhaftungen unter der Zivilbevölkerung der polnischen Hauptstadt. Die Verhafteten werden in das Durchgangslager Pruszków eingeliefert und von dort zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt oder in Konzentrationslager eingewiesen. Der erste Transport aus Pruszków mit 1984 Männern, Jugendlichen und Jungen erhalten die Nummern 190912 bis 192895 und die Frauen und Mädchen die Nummern 83083 bis 86938. Die Frauen und Kinder werden im Frauenlager B I a untergebracht und die Männer im Quarantänelager der Männer B II a. Die Nummern werden ihnen nicht eintätowiert. Sonst unterscheidet sich ihre Behandlung nicht von der anderer Häftlinge im Lager. Unter den in diesem Transport Eingelieferten befinden sich 169 Jungen im Alter bis 14 Jahren" (Danuta Czech: Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939-1945. Reinbek b. Hamburg 1989, S.874).

Auszüge aus dem Bericht von Frau Eulalia Kurdej, ehemaliger weiblicher Häftling des KL Auschwitz Nr. 84351

Nach Auschwitz brachte man uns am 12. August 1944. Der Zug blieb auf der Station stehen und das von einem Eisenbahner ausgesprochene Wort "Oswiecim" löste eine erste Panik aus. Man war empört, wofür man uns denn gerade hierher gebracht hatte. Es begann Wehgeschrei und Weinen. Mit Erleichterung nahmen wir wahr, daß der Zug weiterfuhr und die Station Oswiecim hinter sich ließ. Doch dauerte diese Fahrt nicht lange. Wiederum hielt der Zug an, die Riegel klirrten und unter dem Gebrüll "raus! raus!" begann das Ausladen. Es war Nacht, auf der Rampe bewegten sich SS-Männer und ringsherum leuchteten Lampen. Gestoßen von den Gehenden, behütete ich meine Brüder. Auf diese Weise befand ich mich in Birkenau. (...) Mich führte man mit meinen Brüdern in einen Abschnitt, doch kamen wir nicht in die Baracke hinein. Den Rest der Nacht verbrachten wir im Freien. Niemand zählte uns, niemand registrierte uns. Nach zwei Tagen begann man unsere Namen aufzuschreiben. (...) Aus dem Bad führte man uns ins Frauenlager. Als sich die Tore hinter uns schlossen, auf dem Weg zwischen Abschnitt B I a und B I b versuchte man die Kinder von den Müttern zu trennen. (...) Bei einem der Appelle trennt man die Mütter von den Kindern und befahl den älteren Mädchen und den Knaben herauszutreten. Man nahm sie aus unserer Baracke. Die Mütter blieben in Baracke 17 und wir kamen nach Baracke 16. In diesem Block befanden sich ausschließlich Kinder im Alter von 2 - 14 Jahren, Knaben und Mädchen, die Knaben nur bis zu neun Jahren. Dort waren ca. 800 Kinder. (...) Einige Tage nach unserer Überstellung nach Block 16 wurde ich von meinen Brüdern getrennt. Man nahm sie zusammen mit dreißig anderen Knaben im gleichen Alter in eine mir damals unbekannte Richtung. Ich blieb alleine, allein mit meinen Gedanken und Sorgen um das Schicksal meiner Brüder, mit denen ich jeglichen Kontakt verlor. Ich wußte nicht, wo sie waren, ob sie am Leben sind. Erst nach drei Monaten erhielt ich einen Kassiber vom Jüngsten, der schon schreiben konnte. Er ließ mich wissen, daß sie am Leben seien, daß Waldek im Revier sei und er selbst alleine. (...) Die in Baracke 16 des Frauenlagers weilenden Kinder waren nicht ohne Fürsorge. Nach Möglichkeit sorgten für uns sowohl weibliche als auch männliche Häftlinge. Zu den liebsten Erinnerungen aus jener Zeit möchte ich die schöne, uneigennützige Geste eines unbekannten Häftlings zählen. Wahrscheinlich war dies ein Jude. Ich glaube, er besserte etwas in unserer Baracke aus, denn einmal malte er uns an den beiden gegenüberliegenden inneren Seiten der Box eine Malerei, die ein Schule darstellte, mit der Unterschrift "Schule" und auf der anderen Seite Spielsachen. (...)


(...) in Baracke Nr. 16 waren ausschließlich Kinder bis zu 14 Jahren. Im September 1944 beendete auch ich mein vierzehntes Lebensjahr, also wurde eines Abends beim Appell mein Name zusammen mit den Namen einiger zehn Mädchen verlesen. Man führte uns ins Bad. Dort hieß man uns nackt auszuziehen und SS-Männer führten eine Musterung durch. Ich wurde von meinen Kameradinnen getrennt, denn trotz meiner 14 Jahre war ich sehr mager und ich wurde als Minderjährige angesehen. Ich kehrte in Block 16 zurück (...).

Die Mütter, wovon ich schon sprach, konnten ihre Kinder nicht sehen. In der Tür unserer Baracke stand immer eine Torwache - diensthabender weiblicher Häftling - die dafür verantwortlich war, daß keine Mutter hineinging. Der Lagerälteste prüfte nach, ob dieser Befehl auch aufs genaueste ausgeführt wurde. (...)
"Ich sagte schon, daß die Kinder allerlei Hilfstätigkeiten ausübten. Ich und andere Mädchen trugen die Kübel mit Essen aus der Küche. Man trug Kübel zu vier Personen und das Durchqueren des Lagers war Gelegenheit zu verschiedenen Beobachtungen. Einmal, als wir die Kübel mit Essen trugen, waren wir Zeugen eine von einer SS-Frau durchgeführten Selektion an einem ins Lager zurückkehrenden Kommando weiblicher Häftlinge. Das war schrecklich. Weinende Frauen verabschiedeten sich von ihren Kolleginnen und selbst wir Kinder wußten, welches Los die zur Arbeit Unfähigen erwartete. Es war schwer, einige hundert Kinder ruhig zu halten. Die älteren weiblichen Häftlinge bemühten sich dies auf verschiedene Arten zu erreichen. Ich erinnere mich, daß zwei Nonnen mit uns zusammen waren, die u.a. Verbände anlegten und für uns sorgten. Eben sie organisierten, um die Kinder ruhig zu halten, das gemeinsame Hersagen des Rosenkranzes, indem sie zu einem Bild beteten, das auf einem Taschentuch angebracht war. Einer dieser Rosenkränze blieb mir besonders im Gedächtnis. Es war im Oktober 1944. Nach Beendigung des Gebetes erhielten alle Kinder ein bißchen Marmelade auf ihre Handfläche. An diesem Abend war bei jedem der Kinder die eine Handfläche ideal sauber, eben diejenige, auf die man ein bißchen Marmelade gelegt hatte.

Die Endevakuierung der in Birkenau weilenden Kinder erfolgte im Januar 1945, das genaue Datum weiß ich nicht mehr."